Leseprobe aus "zum glück weg"
Spanien
[…] Dabei mussten wir Murcia passieren. Ein großer Teil unseres Gemüses, das wir in Österreich aus Spanien beziehen, stammt von dieser Gegend. Wir fuhren unzählige Kilometer an Plastiktunneln und verwehten Plastikplanen entlang. Überall Plastik. Ich habe noch nie so viele Plastiktunnel gesehen. Es schien, als würden sie nie enden. Die Plastikabdeckungen wurden immer wieder vom Wind verweht, weshalb überall, wirklich überall Plastikplanen hingen: auf der Straße, zwischen Steinen, auf den Felsen, den Sträuchern, Disteln, Bäumen. Trotz oder gerade wegen der Hässlichkeit dieser Gegend und vor allem auch deshalb, weil hier eines der wichtigsten Anbaugebiete von Obst und Gemüse Mitteleuropas ist, wuchs unser Interesse daran. Wir beschlossen, eine Nacht in der Gegend rund um Murcia zu bleiben. Wir sahen zahlreiche Plastiktunnel, in denen Pflanzen wuchsen, die noch nie den Erdboden berührt hatten. Sie wuchsen senkrecht in Höhen und erhielten automatisiert die Stoffe, die sie benötigten, um den erwünschten Ertrag zu bringen. Gleicht der Geschmack dieser Pflanzen tatsächlich den Früchten und dem Gemüse, das im Erdboden wachsen durfte? Ich weiß es nicht. Aber es fühlt sich nicht richtig an, wenn Pflanzen keinen Erdboden spüren dürfen.
Auf der Suche nach einem geeigneten Stellplatz kamen wir an Ghettos vorbei. Es waren tatsächlich Ghettos – zusammengesetzte Wellblechstücke, die Menschen als Behausung dienten. Die Winter in dieser Gegend sind nicht mild. Wir fragten uns, wie Menschen hier leben könnten und suchten Kontakt. Wir sahen ausschließlich Schwarzafrikaner. Sie wollten uns keine Auskunft geben, waren misstrauisch. Wir sahen Kinder in Lumpen, Frauen mit zerrissenen Kleidern, Männer mit kaputten Sandalen, die mit Klebeband notdürftig repariert worden waren. Alle wichen uns aus oder schwiegen, wenn wir fragten, wie es ihnen gehe, woher sie kämen, wo sie arbeiteten, welche Bezahlung sie erhielten. Ich wollte dieser Sache nachgehen. Aber hier stieß ich an Grenzen. Wir mussten akzeptieren, dass wir nichts über das Leben der Menschen hier und ihre Arbeit erfahren würden. Oder gab es doch noch einen Weg?
Nach kurzer Suche fanden wir einen einfachen Stellplatz am Meer und blieben ein paar Tage dort. Als wir uns für eine Wanderung entlang der Küste von Los Escullos nach San José entschieden, trafen wir einen Wanderer samt Hund. Er wirkte sehr lieb, hatte wachsame Augen und war fröhlich. Ich schätzte ihn auf rund dreißig Jahre. Wir plauderten mit ihm. Er war Pole und seit neun Jahren in Spanien auf Wanderschaft. Um sein Leben zu finanzieren, arbeitete er immer wieder auf Feldern. Ein Feldbesitzer hatte einen Hund, den er eines Tages im Meer ertränken wollte. Er beschloss, mit seinem Boot weit ins Meer zu fahren und anschließend den Hund aus dem Boot zu werfen. Unser polnischer Freund hatte Mitleid mit dem Tier und bat den Feldbesitzer, ihm den Hund zu schenken. Um den Hund ordnungsgemäß besitzen zu dürfen, musste der Pole zahlreiche Auflagen erfüllen, die mit hohen Kosten verbunden waren. Die Angelegenheit wurde dadurch erschwert, dass ihm sein Reisepass abhandengekommen war: Jemand hatte ihn gestohlen. Seit diesem Tag arbeitete der junge Wandersmann ausschließlich schwarz und somit gegen extrem geringe Bezahlung. Die Gemüse- und Obstplantagen kannte er nur allzu gut. Er hatte dort monatelang gearbeitet. Er erzählte uns von den Schwarzafrikanern, die dort tätig sind. Viele sind illegal dort. Sie bekommen zwischen zwei und drei Euro pro Stunde. Jeder Arbeitstag hat mindestens zwölf Stunden, manchmal auch mehr. Oft erhalten die Arbeiter am Monatsende keinen Lohn. Sie arbeiten gegen keinen oder gegen einen Hungerlohn, damit wir für billiges Geld Obst und Gemüse erhalten.
Auch der Pole wurde immer wieder auf kommende Monate vertröstet, als der Monatslohn ausbezahlt werden sollte. Daher entschied er sich, andere Möglichkeiten zu finden, um sich durchs Leben zu schlagen. Wie bereits erwähnt: Er war auffallend lieb und hatte eine sehr ehrliche und warmherzige Art. Wir wanderten ein Stück unseres Weges gemeinsam. Viele Restaurantbesitzer kannten und mochten ihn. Sie winkten ihm zu, erkundigten sich nach seinem Wohlbefinden und gaben ihm und dem Hund Essensreste, die vom Vortag übrig geblieben waren. Am Ende unserer Wanderung wünschten wir uns gegenseitig alles Gute und viel Glück. Es war schön, ein Stück weit in die Erzählungen und das Leben des einsamen und doch so glücklichen Wandersmanns eintauchen zu dürfen.